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Zero Discrimination Day: Der Kampf gegen AIDS

Warum HIV noch immer Stigma und Tabu bedeuten kann und welche die größten Hürden bei der Bekämpfung sind, berichtet der Epidemiologe und Humboldt-Professor Till Bärnighausen im Interview.

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Illustration: Zwei Hände und zwei Schmetterlinge in Regenbogenfarben, rechts daneben in orange, rot und blau #Zero Discrimination Day 1 March. Im Hintergrund in hellgrau eine Weltkarte
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Im Jahr 2022 lebten weltweit 39 Millionen Menschen mit HIV. Zugleich ist die Zahl der AIDS-bedingten Todesfälle seit dem Höchststand im Jahr 2004 um 69 Prozent zurückgegangen. Die Welt hat also große Fortschritte auf dem Weg zu dem Ziel gemacht, AIDS als Bedrohung der öffentlichen Gesundheit bis 2030 zu beenden.
Doch noch immer gibt es Gesetze und Praktiken, die gerade Frauen und Mädchen sowie andere marginalisierte Gruppen diskriminieren und stigmatisieren und den Zugang zu HIV-Prävention, Tests, Behandlung und Pflege behindern. Allein in den afrikanischen Ländern südlich der Sahara entfielen im Jahr 2022 mehr als 77 Prozent der Neuinfektionen auf Mädchen und junge Frauen im Alter von 15 bis 24 Jahren.

Zum zehnten Jahrestag des Zero Discrimination Day am 1. März 2024 haben wir den Epidemiologen und Humboldt-Professor Till Bärnighausen (Heidelberg Institute of Global Health) gefragt, vor welchen Herausforderungen wir in der Bekämpfung von HIV stehen und was getan werden kann, um die Rechte von Betroffenen zu schützen und Diskriminierung abzubauen.

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Der deutsche Epidemiologe Till Bärnighausen leitet das Heidelberg Institute of Global Health (HIGH) am Universitätsklinikum Heidelberg. Der Experte für Global Health ist außerdem Adjunct Professor of Global Health an der Harvard University, USA, und Senior Faculty am Wellcome Trust’s Africa Health Research Institute in Südafrika. 2017 wurde er mit der Alexander von Humboldt-Professur ausgezeichnet.

Humboldt-Stiftung: Wo sehen Sie derzeit noch immer die größten Hürden bei der Bekämpfung von HIV in der Welt?
Till Bärnighausen: Wir haben die Methoden, HIV in der Welt langfristig zu besiegen. Die aktuelle Behandlung erlaubt es Menschen, die mit dem Virus leben, genauso alt zu werden wie Menschen ohne HIV – auch in Ländern mit fragilen Gesundheitssystemen. Wir müssen daher nicht auf eine Impfung oder weitere Ansätze warten, um die Pandemie in den Griff zu bekommen. Die Hürden bei der Bekämpfung der HIV-Pandemie liegen vielmehr im Einsatz langfristiger globaler Ressourcen. Die globale Unterstützung für die Versorgung und Ausstattung in den ressourcenarmen Ländern der Welt stagniert oder sinkt leider gerade. Es ist unklar, inwieweit die umfassende und gute Behandlung der Menschen, die mit HIV leben, über die kommenden Jahrzehnte aufrechterhalten werden kann. Wenn sie zusammenbräche, würde ein erneutes Ansteigen der HIV-Pandemie drohen.

Wie hat sich das Stigma zu HIV und AIDS über die Jahre verändert – nicht zuletzt dank neuer medizinischer Behandlungen?
Das HIV-Stigma hat sich deutlich verringert durch die Behandlung und die kulturelle Normalisierung der Erkrankung. Allerdings ist das Bild gemischt und es ist noch immer viel Aufklärungsarbeit nötig. So zeigt eine Bevölkerungsstudie im südlichen Afrika, dass vor 15 Jahren Menschen, die auf HIV behandelt wurden, nicht über ihre Erkrankung reden wollten. Sie schämten sich oder befürchteten soziale Konsequenzen. Inzwischen reden viele Menschen, die auf HIV behandelt werden, frei mit Fremden über ihre Therapie – genauso, wie sie auch über andere chronische Erkrankungen wie Diabetes und Bluthochdruck sprechen würden. Zugleich gibt es die, die ihre Erkrankung noch immer als Tabu wahrnehmen – und diese Wahrnehmung vermindert die Motivation für die HIV-Behandlung.

Was hilft gegen Vorurteile und Diskriminierung? Und was braucht es im globalen Gesundheitssystem, um gerade auch die sozialen Aspekte in der Gesundheitsversorgung besser abzudecken?
In Gesundheitssystem weltweit stehen die Menschen im Vordergrund – die Patient*innen, die Krankenschwestern und -pfleger und die Ärzt*innen. Bei all diesen Gruppen muss das Wissen und Verständnis über die Krankheit gefördert werden, um aktiv gegen die Stigmata in der Prävention und Behandlung von Erkrankungen anzugehen. Interventionen müssen zudem kontext-spezifisch sein. So werden in manchen Gesundheitssystemen junge Frauen diskriminiert, indem man ihnen effektive moderne Mittel der Geburtenkontrolle oder die medikamentöse Vorsorge vor einem möglichen HIV-Kontakt vorenthält. Ein Grund für dieses Problem ist die soziale Einstellung, dass junge Frauen vor der Heirat nicht sexuell aktiv sein sollten. Es gibt inzwischen aber immer bessere Ansätze, derartigen Gruppendiskriminierungen erfolgreich durch offene, gleichberechtigte Behandlung entgegenzuwirken.

Till Bärnighausen
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